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Der Entwurf zum Medienstaatsvertrag und die Novellierung des Rundfunkbegriffs – Was sind die Auswirkungen für Youtuber, Streamer, Blogger & zivilgesellschaftliche Angebote wie Wikipedia?

 
Peter Große, Universität Hamburg

Erstmalig stellt die Rundfunkkommission der Länder einen Entwurf zur Änderung des Rundfunkstaatsvertrags vorab ins Internet und beteiligt per Kontaktformular auch die Öffentlichkeit an den Beratungen. Über 1000 Stellungnahmen von Privatpersonen und Verbänden zeugen von der gesellschaftlichen Relevanz des Vorhabens, denn der neue Medienstaatsvertrag soll zeitgemäß gestaltet sein und immer öfter auch Internetangebote regulieren. In seinem Beitrag beleuchtet Peter Große die Auswirkungen für Youtuber, Streamer und Blogger im Netz.

Die weite Verbreitung des Internets und seine vielfältigen Informations-, Kommunikations- und Unterhaltungsangebote stellen die Rundfunk- und Medienregulierung auf die Probe. Die Konvergenz der Medien führt dazu, dass die Trennlinie zwischen klassischem Rundfunk und Internetmedien immer mehr verschwimmt. Vor diesem Hintergrund sieht der Gesetzgeber hohen Anpassungsbedarf, denn im Gegensatz zu klassischem Rundfunk sind Internetangebote, die diesem in Form und Inhalt oft ähnlich sind, kaum rundfunkrechtlich reguliert. Dieser Entwicklung versucht der Gesetzgeber mit einem neuen Medienstaatsvertrag zu begegnen. Der erste Arbeitsentwurf des Medienstaatsvertrags[1] (MStV-E), der am 23. Juli 2018 veröffentlicht wurde, wird von der Netzgemeinde aber eher kritisch gesehen. Schon im Vorfeld des Entwurfs hatten die Bestrebungen der Rundfunkkommission der Länder für Unruhe gesorgt. Sollte der Rundfunkbegriff ausgeweitet werden und auch Internetangebote einbeziehen, müssten in der Folge viele unabhängige Content Creators wie Blogger, Videoblogger, Youtuber, Streamer oder sogar Let’s Player plötzlich eine Rundfunklizenz beantragen. Denn wer unter den Rundfunkbegriff fällt, benötigt nach § 20 Abs. 1 RStV eine Zulassung durch die Kommission für Aufsicht und Zulassung (ZAK). Das ist mit Bürokratie und Kosten von bis zu 10.000 Euro verbunden. Für private Betreiber von Onlinekanälen würde das eine Belastung oder sogar das Ende ihrer Onlineaktivitäten bedeuten. Zudem gab es Befürchtungen – die zahlreichen Eingaben und Stellungnahmen auf der Webseite der Rundfunkkommission zeigen dies eindrucksvoll [2] – dass staatliche Stellen über die Zulassungspflicht kritische Blogs zensieren könnten. Ob diese Befürchtungen stichhaltig sind, soll de lege ferenda auf der Grundlage des derzeitigen Entwurfs geklärt werden. Dazu werden die Änderungen am Rundfunkbegriff erörtert und eine Einschätzung vorgenommen, welche Internetangebote künftig unter das Rundfunkrecht fallen. Es wird auch auf die Frage eingegangen, ob Angebote wie Wikipedia oder der Chaos Computer Club e.V. in den Anwendungsbereich des Medienstaatsvertrags fallen. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit den Begriffen Medienintermediär und Medienplattform. Zuletzt wird vor den Folgen für die jeweiligen Anbieter gewarnt.

Medienstaatsvertrag – der Name ist Programm

Rundfunkpolitik ist in Deutschland nach Art. 30, 70 Abs. 1 GG Ländersache. Das stellte das Bundesverfassungsgericht bereits 1961 in seinem ersten Rundfunkurteil[3] zum Deutschland-Fernsehen fest. Damit es dennoch bundesweit einheitliche Regeln gibt, schließen die Länder untereinander Staatsverträge ab. Diese führen durch Ratifizierung aller Landesparlamente mittels Zustimmungsgesetzen zu bundesweit einheitlichem Landesrecht.[4] Bislang hießen diese Verträge stets Rundfunkstaatsverträge, jeweils aktualisiert durch die sogenannten Rundfunkänderungsstaatsverträge. Doch nun soll es keinen weiteren Rundfunkstaatsvertrag geben, sondern einen Medienstaatsvertrag. Die Namensgebung des Vertragsentwurfs ist bereits der erste umstrittene Punkt. Hinter dem Namen Medienstaatsvertrag verbirgt sich der Anspruch, alle Medien – und nicht nur den Rundfunk – zu regulieren.[5] Das bezieht das Internet ein, wie vom Gesetzgeber durch die ursprünglich geplante Ausweitung des Rundfunkbegriffs auch beabsichtigt. Mittlerweile haben die Kritiker des Begriffs aber die argumentative Oberhand gewonnen, denn da die Ausweitung des Rundfunkbegriffs allem Anschein nach unterbleiben wird (hierzu s.u.), kann der Medienstaatsvertrag seinem ursprünglichen Anspruch nicht mehr gerecht werden. Sollte der Name beibehalten werden, würde er etwas versprechen, was er nach seinem Regelungsbereich nur teilweise liefern kann. Deshalb wird von Seiten einiger Verbände in ihren Stellungnahmen für eine Aufgabe des Begriffs und für die Beibehaltung der bisherigen Bezeichnung der Verträge plädiert.[6]

Ausgangspunkt: AVMD-Richtlinie und Beteiligungsverfahren am MStV

Ausgangspunkt für einen neuen Medienstaatsvertrag ist die Novellierung der Audiovisuelle-Mediendienste-Richtlinie der EU durch die AVMD-Änderungsrichtlinie.[7] Diese wurde am 28. November 2018 im Amtsblatt der Europäischen Union verkündet und muss nun von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. In Deutschland ist dafür die Rundfunkkommission der Länder zuständig, welche im Sommer einen ersten Entwurf auf ihrer Internetseite veröffentlicht hat. Die Konsultationsphase für Stellungnahmen vonseiten der Verbände und der Öffentlichkeit dauerte bis zum 30. September 2018 an. Die Rundfunkkommission berät nun über die Eingaben und wird zu gegebener Zeit einen endgültigen Entwurf präsentieren. Es ist unklar, wie weitreichend die inhaltlichen Änderungen ausfallen werden. Für eine weitere Ausweitung des Anwendungsbereichs auf nicht-lineare Mediendienste im Internet lässt die EU-Richtlinie jedenfalls keinen Spielraum. Auf der anderen Seite stehen die zahlreichen, überwiegend kritischen Eingaben zum Entwurf selbst. Ob sich die Rundfunkkommission von den rechtlich unverbindlichen Eingaben beeinflussen lässt, ist im Voraus nur schwer zu beurteilen. Das öffentliche zur-Diskussion-Stellen eines Gesetzesentwurfs ist in dieser Form einmalig.

Die Merkmale des Rundfunkbegriffs im Einzelnen

Der gänzlich veraltete Begriff „elektromagnetische Schwingungen“ wird aus den Begriffsbestimmungen des § 2 RStV gestrichen. Das Merkmal war nicht mehr hinreichend technologieneutral, deshalb wird es mit einem zeitgemäßen Begriff ersetzt. Nach dem neuen Entwurf ist Rundfunk die Verbreitung von Bewegtbild oder Ton „mittels Telekommunikation“.

Das Merkmal der journalistisch-redaktionellen Gestaltung von Angeboten wird beibehalten (§ 2 Abs. 2 MstV-E). Es setzt eine Prüfung, Auswahl oder Überarbeitung von Inhalten voraus.[8] So wäre zum Beispiel das bloße Auflisten von Fußballergebnissen kein Rundfunk, wenn es keine besondere redaktionelle Auswahl der Spiele und keine besondere journalistische Aufbereitung der Auflistung, z.B. durch Kommentierungen gibt. Einzige Änderung an diesem Rundfunkmerkmal durch den MstV-E ist der erforderliche Grad an journalistisch-redaktioneller Gestaltung. Es muss eine Mindestschwelle überschritten sein, damit der Medienstaatsvertrag anwendbar ist. Angebote mit geringer journalistisch-redaktioneller Gestaltung bleiben vom Anwendungsbereich ausgeschlossen. Das gibt es im aktuellen Rundfunkstaatsvertrag nicht. Noch werden auch Angebote mit geringer journalistisch-redaktioneller Gestaltung einbezogen.

Lineare und nicht-lineare Angebote

Zentrales Merkmal des Rundfunks ist die Linearität. Diese definiert sich durch die Bestimmung zum zeitgleichen Empfang und das Senden entlang eines Sendeplans.[9] Die Unterscheidung von Rundfunk und Telemedien erfolgt entlang dieser Trennlinie. Die Linearität ist also das wichtigste Abgrenzungskriterium zwischen Rundfunk und Telemedien. Die Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz hätte das Merkmal der Linearität gerne komplett aufgegeben. Das geht aus Punkt 4 des Positionspapiers der Bundesrepublik Deutschland zur Beratung über die AVMD-Richtlinie hervor.[10] Dort wird argumentiert, dass die Unterscheidung zwischen linearen und nicht-linearen Inhalten nicht mehr zeitgemäß und hinreichend technologieneutral sei. Durchsetzen konnte sich die deutsche Seite damit allerdings nicht. Die novellierte AVMD-Richtlinie hat die bisherige Unterscheidung von linearen und nicht-linearen audiovisuellen Diensten nicht aufgegeben. Damit ist der Hauptgrund für die letztendlich nur redaktionellen Änderungen am Rundfunkbegriff offensichtlich. Die Erläuterungen der Rundfunkkommission zum Arbeitsentwurf des MStV klingen diesbezüglich wie ein Eingeständnis.[11] Die Mitgliedsstaaten sind zur richtlinienkonformen Umsetzung verpflichtet. Daher wird man auch in Zukunft immer noch eine Abgrenzung anhand dieser Kriterien vornehmen müssen.

Die Bestimmung zum zeitgleichen Empfang bedeutet, dass Rundfunk zu einem vom Anbieter bestimmten Zeitpunkt ausgestrahlt wird. Er kann nur zu diesem Zeitpunkt vom Empfänger wahrgenommen werden. Schaltet dieser nicht rechtzeitig ein, ist die jeweilige Radio- oder Fernsehsendung vorbei. Dagegen stehen Internetangebote, solange sie kein Streaming sind (dazu s.u.), jederzeit zum Abruf zur Verfügung (On-Demand). Der Nutzer bestimmt mittels eines Play-Button [12] selbst, wann er das Angebot abspielt. Das Merkmal der Zeitgleichheit stellt mithin darauf ab, ob der Konsument Einfluss auf den Zeitpunkt der Wiedergabe hat.[13] Schon deshalb erfüllen Inhalte auf Plattformen wie Vimeo, Youtube, oder Facebook Videos nicht das Merkmal der Zeitgleichheit. Hier bestimmt der Nutzer den Zeitpunkt der Wiedergabe.

Weiteres Merkmal der Linearität ist das Senden entlang eines Sendeplans. Ein Sendeplan setzt die Zusammenstellung von Sendungen in einer bestimmten Reihenfolge voraus.[14] Besteht also von vornherein die Absicht, mehrere Sendungen aufeinander folgend auszustrahlen (ob unmittelbar oder mit Unterbrechung), liegt eine bestimmte Reihenfolge und somit das Senden entlang eines Sendeplans regelmäßig vor. Wird aber eine Sendung zunächst einzeln ausgestrahlt und erst später die Entscheidung getroffen, eine Fortsetzung auszustrahlen, wird man dies verneinen müssen. Das Gesetzgeber sagt nichts zur Dauer, Häufigkeit oder Anzahl der Sendungen, die nötig sind, um einen Sendeplan bejahen zu können. Es kommt im Ergebnis also stets auf eine Gesamtschau an. Erwecken die in Reihenfolge ausgestrahlten Sendungen gemäß ihrem Gesamtbild den Eindruck von Rundfunk, so liegt ein Sendeplan vor.[15]

Bagatellrundfunk

Laut Entwurf wird es einen § 20 b für zulassungsfreien Bagatellrundfunk geben. Hier stellt Nr. 1 als generelle Bagatellregelung klar, anhand welcher Kriterien festgestellt werden soll, was zukünftig Rundfunk ist und was nicht. Insbesondere richtet sich diese an Streamer. Maßgeblich sind demnach die Dauer und Häufigkeit der Verbreitung, das Ausmaß an journalistisch-redaktioneller Gestaltung, die Einbindung in einen dauerhaften Sendeplan oder anderweitig eine geringe Bedeutung für die öffentliche und individuelle Meinungsbildung. Diese Merkmale sind nicht verbindlich definiert, sondern unterliegen dem Beurteilungsspielraum der Behörden. Anhand von Präzedenzfällen lässt sich ein Überblick über die Behördenentscheidungen verschaffen.[16] Zuständig für die Einschätzung sind die jeweiligen Landesmedienanstalten, welche auf Antrag die Unbedenklichkeit und damit Zulassungsfreiheit für Angebote wie z.B. Let’s Plays bescheinigen.

Live-Streaming Angebote

Die rechtliche Situation der Streamer, was auch die Let’s Player miteinschließt, ist schon länger umstritten. Let’s Play bezeichnet die im Internet beliebte Praxis, das Spielen von Videospielen zu kommentieren und mittels einer Software audiovisuell aufzuzeichnen.[17] Spätestens seit dem Fall des bekannten twitch.tv Let’s Players PietSmiet ist bekannt, dass Streaming Angebote unter den Rundfunkbegriff subsumiert werden können. Die öffentlichkeitswirksame Debatte über die Lizenzpflichtigkeit von PietSmiet[18] dürfte dazu beigetragen haben, dass derzeit über eine Ausnahme für Let’s Player im Medienstaatsvertrag nachgedacht wird. Gemäß § 20b Abs. 3 Nr. 3 MStV-E sind Rundfunkprogramme im Internet kein Rundfunk, wenn sie regelmäßig weniger als 20.000 Zuschauer monatlich erreichen oder vorwiegend dem Vorführen oder Kommentieren von virtuellen Spielen dienen. Der zweite Halbsatz der Regelung steht in eckigen Klammern. Das bedeutet, dass man sich hinsichtlich der Ausnahme für Let’s Player noch nicht sicher ist. Viele Let’s Player erreichen allerdings regelmäßig mehr als 20.000 Zuschauer monatlich. Gemäß der allgemeineren Regelung des ersten Halbsatzes (weniger als 20.000 Zuschauer monatlich) könnten auch thematisch anders (zB. politisch, musikalisch) ausgerichtete Internetrundfunkprogramme zulassungsfrei bleiben. Überschreiten sie diese Schwelle, fallen sie nicht mehr unter die Ausnahmeregelung des § 20b MStV-E und müssen sich an den Kriterien des § 2 MStV-E messen lassen. Hier wäre insbesondere das Merkmal der Verbreitung entlang eines Sendeplans wichtig. Um Rechtsunsicherheit entgegenzuwirken, gibt es speziell für Streaming-Angebote eine Checkliste der Medienanstalten.[19] In dieser werden die Merkmale genauer erörtert.

Streaming wird also – soweit es sich nicht um Let’s Play handelt und soweit die Let’s Play Ausnahme realisiert wird – weiterhin einer Abgrenzung im Einzelfall unterliegen. Wichtige Kriterien sind Häufigkeit, Dauer, Aktualität oder eine Vorabankündigung der Streams in sozialen Netzwerken. All diesen Kriterien kommt eine Indizwirkung für das Vorliegen eines Sendeplans zu.[20]

Weitere Anwendungsbereiche des Medienstaatsvertrags

Der Medienstaatsvertrag soll nicht nur für die Veranstaltung, Verbreitung und Zugänglichmachung von Rundfunk gelten. Er gilt laut § 1 Abs. 7 MStV-E auch für Medienplattformen und Medienintermediäre, soweit sie zur Nutzung in Deutschland bestimmt sind. Medienplattformen und Medienintermediäre fungieren als Schnittstelle für die Zugänglichmachung und den Abruf von journalistisch-redaktionellen Inhalten und rundfunkähnlichen Telemedien außerhalb herkömmlicher Telekommunikationsinfrastruktur. Diese Begriffe sollten nicht mit dem Rundfunkbegriff durcheinandergebracht werden. Sie stellen einen eigenständigen Anwendungsbereich des Medienstaatsvertrags dar. Es soll nun untersucht werden, ob und wenn ja, welche Internetangebote hierunter fallen könnten.

Medienintermediäre – Facebook, Youtube, Google, Twitter

Für das Rundfunkrecht gänzlich neu ist der Begriff des Medienintermediärs. Laut § 2 Abs. 2 Nr. 13b MStV-E ist Medienintermediär jedes Telemedium, das auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregiert, selektiert und allgemein zugänglich präsentiert, ohne diese zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen. In eckigen Klammern ist eine Beispielliste dazugefügt, welche insbesondere Suchmaschinen, soziale Netzwerke, App Portale, User Generated-Content-Portale, Blogging-Portale und News-Aggregatoren nennt. Nach dieser Beschreibung könnte also eine Vielzahl von Portalen, die fremden Content lose bei sich einbinden, ohne ein festes Gesamtangebot zu präsentieren, hierunter fallen. Allerdings schränkt § 53c Abs. 2 Nr. 1 MStV-E den Anwendungsbereich stark ein. Es sind lediglich solche Intermediäre erfasst, die innerhalb Deutschlands über eine Million Nutzer monatlich erreichen. Damit ist klar, dass mit dem Begriff des Medienintermediärs vor allem auf die großen sozialen Netzwerke und Content-Portale wie Facebook, Youtube, Twitter und Suchmaschinen wie Google abgezielt wird.

Medienplattformen – Netflix, Zattoo, Smart-TV Systeme

Der Begriff der Medienplattform ist im bisherigen Rundfunkrecht schon verankert. Laut § 2 Abs. 2 Nr. 13 MStV-E sind Medienplattformen alle Dienste, welche Rundfunk oder rundfunkähnliche Telemedien zu einem Gesamtangebot zusammenfassen. Diese Formulierung richtet sich an Internet-Streaming-Dienste wie Netflix, aber auch endgerätgebundene Smart-TV Systeme. Ursprünglich war der Begriff für herkömmliche Kabelfernsehnetzwerke konzipiert, die auch nach wie vor in seinen Anwendungsbereich fallen. Es gilt eine Schwelle von mindestens 20.000 Nutzern monatlich. Auch wenn diese überschritten wird, ist schwer vorstellbar, dass etwa ein Blog, auf dem gelegentlich auch Videos, Podcasts und Content von Drittanbietern eingebunden wird, deshalb als Medienplattform im Sinne des Staatsvertrages gelten soll. Dagegen spricht auch die bisherige Praxis zu diesem bereits etablierten Begriff. Er wurde durch den Entwurf zwar erheblich, aber nicht grundlegend abgeändert. Fälle wie PietSmiet sind hier nicht bekannt, deshalb ist nicht zu erwarten, dass sich die Handhabe der Landesmedienanstalten hier grundlegend ändern wird.

Nebenwirkungen des Anwendungsbereichs: Wikimedia (u.a.)

Für die bisher untersuchten Anbietergruppen (Youtuber, Streamer, Blogger) ist dieser Teil des Anwendungsbereiches des Medienstaatsvertrages also eher nicht von Belang. Der Gesetzgeber richtet sich damit an die großen, marktmacht- und reichweitenstarken Unternehmen. Allerdings ergibt sich in diesem Zusammenhang das Problem, ob Non-profit Angebote der Zivilgesellschaft wie Wikipedia ebenfalls davon erfasst werden. [21]

Bei konsequenter Anwendung der oben dargelegten Merkmale des Medienintermediärs kommt man zu diesem Schluss. Wikipedia aggregiert Inhalte Dritter, nämlich der zahlreichen Autoren, auf ihrer Webseite. Diese Inhalte werden auch selektiert und öffentlich zugänglich gemacht. Dabei wird kein Gesamtangebot geschaffen, da die Mitwirkenden (ähnlich wie Facebook-User) durch ihre Beiträge das Angebot ständig erweitern. Die Inhalte sind auch zweifellos journalistisch-redaktionell gestaltet. Außerdem überschreitet Wikipedia die monatliche Nutzerschwelle von einer Million Nutzern bundesweit.

Nach eigener Einschätzung von Wikimedia Deutschland fallen weitere ihrer Projekte in den Anwendungsbereich des Medienstaatsvertrags.[22] Wikimedia Commons (das Medienarchiv der Wikipedia, auf dem deren Bilder, Tondateien etc. bereitgestellt sind), Wiki Voyage, Wikisource and andere würden ebenso erfasst sein.

Als weiteres Beispiel wurde die in Hamburg ansässige NGO Chaos Computer Club e. V genannt.[23] Die Webseite des Vereins (media.ccc.de) dient als eine Art Gesamtschau der vielfältigen Aktivitäten des CCC. So werden dort laufend Sendungen verschiedener CCC-naher Radiosender, Live-Streams und Videos von Hackathons bereitgestellt. Bei den Inhalten handelt es sich um Rundfunk oder rundfunkähnliche Telemedien im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 13 MStV-E. Sie werden auf der Webseite des CCC zu einem umfassenden Gesamtangebot zusammengefasst, auf das der Nutzer nach Belieben zugreifen kann. Darüber hinaus ist media.ccc.de kein Uploadportal wie etwa Youtube. Lediglich der Betreiber bestimmt über die verfügbaren Inhalte. Demnach würde es sich um eine Medienplattform handeln.

Die Folge: Gleiche Pflichten für ungleiche Akteure

In der Folge sähen sich die derart vom Anwendungsbereich des Medienstaatsvertrags erfassten Anbieter einem extensiven 10-seitigen Pflichtenkatalog unterworfen. Für Medienplattformen gelten Belegungsregeln, wonach ein Drittel der Kapazität für öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Verfügung stehen muss (§ 52 b MStV-E). Es wäre dem Betreiber von media.ccc.de wohl nicht zuzumuten, seinen Nutzern neben Hackathons demnächst auch die Tagesschau anbieten zu müssen. Des Weiteren gelten Zugangsregeln (§ 52 c MStV-E). Die Betreiber von Medienplattformen sind zur Sicherung der Meinungsvielfalt verpflichtet, Anbietern von Rundfunk oder rundfunkähnlichen Telemedien gleichermaßen und ohne unbillige Behinderung den Zugang zu ihrer Plattform zu gewähren. Für klassische Medienplattformen wie Netflix macht dies Sinn. Dort sollen Werke verschiedenster Urheber die gleichen Zugangschancen haben. Im Fall der Webseite des Chaos Computer Club verfehlt diese Regelung allerdings gänzlich ihren Zweck. Media.ccc.de als Homepage einer NGO unterliegt allein der Gestaltungsfreiheit des Betreibers. Dieser kann nach seinem Ermessen und unter Anwendung subjektiver Kriterien ausschließlich solche Inhalte zur Verfügung stellen, die sein politisches oder gesellschaftliches Anliegen fördern. Es geht hier gerade nicht um Diskriminierungsfreiheit oder Neutralität.

Medienintermediäre unterliegen ähnlichen Pflichten hinsichtlich Transparenz und diskriminierungsfreien Zugangs. So müssen sie gemäß § 53 d MStV-E anzeigen, nach welchen Kriterien sowie unter Offenlegung der entsprechenden Algorithmen Inhalte aufgenommen und beibehalten werden. Die Regelung zielt auf Medienintermediäre wie Facebook ab, die durch ihre herausragende Marktstellung die Meinungsbildung der Öffentlichkeit durch Hervorhebung oder Unterdrückung bestimmter Inhalte beeinflussen können. Bei Wikipedia entscheiden die Nutzer untereinander in Diskussionen, welche Artikel hinzugefügt, geändert oder gelöscht werden. Außerdem sind alle Artikel gleichermaßen abrufbar. Es gibt weder bevorzugte oder benachteiligte Artikel noch einen zentralen Algorithmus zur Steuerung der Sichtbarkeit von Inhalten. Die Regelung verfehlt in Hinsicht auf Wikipedia also ebenfalls ihren Zweck. Klar ist auch, dass Non-Profits wie Wikimedia nicht die gleichen Ressourcen zur Verfügung haben wie Facebook, Google und andere Großkonzerne. Non-profits kann die Umsetzung schon wirtschaftlich nicht zugemutet werden. Darüber hinaus wären die vorgesehenen Regelungen nicht mit der Idee von Wikipedia vereinbar.

Fazit: Was erwartet die Netzgemeinde?

Unabhängige Content Creators (Youtuber, Blogger etc.) dürfen erstmal aufatmen. Sie werden nicht stärker als bisher vom Rundfunkbegriff erfasst und müssen sich auch zukünftig nicht um eine Rundfunklizenz bemühen. Insbesondere die Let’s Player können sich auf eine für sie maßgeschneiderte Ausnahmeregelung freuen. Nur bei Anbietern thematisch anders gesetzter Streams wird eine Abwägung je nach Einzelfall notwendig sein. Der ganz große Wurf zur Regulierung von Onlinemedien über das Rundfunkrecht ist jedenfalls ausgeblieben. Der deutsche Gesetzgeber wird hier von den europäischen Vorgaben ausgebremst. Problematischer sieht es für Wikipedia und andere allgemein zugängliche Angebote aus. Sollten diese in den Anwendungsbereich des Medienstaatsvertrags fallen – nach derzeitigem Stand des Entwurfs muss hiervon ausgegangen werden –, so würden sie von Vorschriften getroffen, die vom Gesetzgeber für kommerziell agierende Anbieter entworfen wurden. Hier besteht also dringend Nachbesserungsbedarf, um Non-Profit Organisationen aus dem Anwendungsbereich auszuklammern.

[1] Der Entwurf ist auf der Webseite der Landesregierung Rheinland-Pfalz abrufbar: https://www.rlp.de/fileadmin/rlp-stk/pdf-Dateien/Medienpolitik/04_MStV_Online_2018_Fristverlaengerung.pdf.

[2] https://www.rlp.de/fileadmin/rlp-stk/pdf-Dateien/Medienpolitik/Eingaben_Medienstaatsvertag/Ihre_Ideen_zum_Medienstaatsvertrag__Rundfunkbegriff_.pdf.

[3] BVerfGE 12, 205, abrufbar unter https://www.telemedicus.info/urteile/Rundfunkrecht/80-BVerfG-Az-2-BvG-1,-260-1.-Rundfunkentscheidung-Deutschland-Fernsehen.html.

[4] Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 54. Aufl. 2018 § 35 Rn. 52.

[5] Vgl. Cornils, ZRP 2018, 157.

[6] Vgl. Stellungnahme des Digitale Gesellschaft e.V. zum Entwurf des 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrages „Medienstaatsvertrag“, abrufbar unter https://digitalegesellschaft.de/2018/10/stellungnahme-des-digitale-gesellschaft-e-v-zum-entwurf-des-23-rundfunkaenderungsstaatsvertrages-aka-medienstaatsvertrag/.

[7] Richtlinie (EU) 2018/1808 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) im Hinblick auf sich verändernde Marktgegebenheiten.

[8] Martini, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, 22. Edition, RStV § 2, Rn. 15.

[9] Schulz, in: Binder/Vesting, Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, RStV § 2 Rdnr. 42.

[10] Positionspapier der Bundesrepublik Deutschland zur Novellierung der Audiovisuellen Mediendienste

Richtlinie (AVMD), abrufbar unter: https://www.rlp.de/fileadmin/rlp-stk/pdf-Dateien/Medienpolitik/Positionspapier_AVMD.pdf.

[11] https://www.rlp.de/de/landesregierung/staatskanzlei/medienpolitik/beteiligungsverfahren-medienstaatsvertrag/rundfunkbegriff/.

[12] Allerdings sollte nicht auf das Vorhandensein eines Play-Buttons generell abgestellt werden. Vgl. dazu VG Berlin Beschl. v. 19.10.2018 – 27 L 364/18, BeckRS 2018, 25941 Rn. 40.

[13] Vgl. Holznagel, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 2 RStV Rn. 16.

[14] Ebd. Rn. 17.

[15] Martini a. a. O. (Fn. 8), RStV § 2 Rn. 5.

[16] Bodensiek/Walker MMR 2018, 136 m. w. N.

[17] Vgl. Beyvers/Beyvers, MMR 2015, 794.

[18] Die Betreiber des PietSmiet Twich.tv Kanals entschieden sich letztlich gegen den Erwerb einer Lizenz und stellten ihren Betrieb ein. Vgl. dazu https://www.golem.de/news/let-s-play-medienanstalten-drohen-mit-einstellung-von-piet-smiet-tv-1703-126868.html.

[19] Checkliste zur Einordnung von Streaming-Angeboten im Internet, abrufbar unter: https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Richtlinien_Leitfaeden/Checkliste_-_Streaming-Angebote_im_Internet.pdf.

[20] Vgl. Leeb/Seiter ZUM 2017, 573.

[21] Vgl. Grassmuck, Plattformen, Oberflächen, Intermediäre: Konsultation zum Medienstaatsvertrag, abrufbar unter: https://netzpolitik.org/2018/plattformen-oberflaechen-intermediaere-konsultation-zum-medienstaatsvertrag/.

[22] Wikimedia Deutschland, Stellungnahme zum Entwurf eines Medienstaatsvertrages der

Länder, abrufbar unter: https://www.rlp.de/fileadmin/rlp-stk/pdf-Dateien/Medienpolitik/Eingaben_Medienstaatsvertag/Verbaende__Rundfunkbegriff_/Wikimedia.pdf.

[23] Grassmuck, a. a. O. (Fn. 21).