Positionspapier der Cyber Law Clinic zur Frage der Einbindung von Legal Tech in der juristischen Ausbildung
Verfasst von Dalia Moniat, Universität Hamburg

Anlässlich einer aktuellen Anfrage gab die Cyber Law Clinic ein von Dalia Moniat verfasstes Positionspapier zum Thema Legal Tech in der juristischen Ausbildung ab. Im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der Cyber Law Clinic hat Dalia Moniat gemeinsam mit weiteren ehrenamtlich agierenden Studierenden die Legal Tech-Initiative an der Universität Hamburg begründet. Die gewonnenen Erfahrungen sowie ihre Eindrücke aus der Praxis hat Dalia in eine Stellungnahme der Cyber Law Clinic einfließen lassen. Darin beantwortet sie, inwiefern das Thema Legal Tech im universitären Kontext der juristischen Ausbildung aufgegriffen werden sollte.

Vor dem Hintergrund der Frage nach der Notwendigkeit von Legal Tech im universitären Kontext ist zunächst eine Einordnung des Begriffs und der übergeordneten Thematik notwendig. Legal Technology, kurz „Legal Tech“, beschreibt als Sammelbegriff zunächst die Nutzbarmachung von technischen Mitteln im Bereich der juristischen Arbeit. Hiermit verbunden sind Chancen, Risiken und Herausforderungen, die mit Technologien im Rahmen der zu erfüllenden Sorgfaltspflichten anwaltlicher Rechtsberatung und richterlicher Entscheidung einhergehen. Grundsätzlich kann man Legal Tech-spezifische Fragestellungen dahingehend differenzieren, ob es sich bei den Endnutzern um Privatpersonen in ihrer Rolle als Verbraucher oder um Endnutzergruppen mit juristischem Sachverstand handelt.

Von Expertinnen und Experten wird Legal Tech als disruptive Kraft beschrieben, die den Rechtsmarkt wie nie zuvor durch neue technologische Möglichkeiten, Innovationen, Geschäftsmodelle und Arbeitsweisen verändern wird. Zwangsweise treten hierbei auch Fragen nach der zukunftsgerechten juristischen Ausbildung auf.

Es fragt sich daher zu Recht, wie die Juristinnen und Juristen von morgen auf die neuen Chancen und Anforderungen am Rechtsmarkt vorbereitet werden sollten.

These 1: Legal Tech als essentieller Lehrbestandteil im Frühstadium der juristischen Ausbildung

Angesichts der weitreichenden Einflüsse von Technologien auf die Arbeitsweise zahlreicher Berufe innerhalb verschiedener Branchen und Industrien (zunehmende Digitalisierung von Arbeitsprozessen) sind wir der Ansicht, dass eine universitäre Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen, rechtstheoretischen und rechtspolitischen Fragen rund um die Zukunft der juristischen Arbeitsweise frühzeitig bereits ab dem ersten Semester im Rahmen der juristischen Ausbildung (Zusatzveranstaltungen: Ringvorlesungen, Vortragsreihen, eLearning-Angebote) stattfinden sollte. Dies schließt die Integration von Fragen rund um die Verzahnung von Technik und Recht in interdisziplinären Vorlesungsformaten ein (z.B. Machine Learning, Blockchain). Technische Entwicklungen wie diese werden sich in den nächsten Jahren exponentiell weiterentwickeln – begünstigt durch schnellere Rechenleistung, Vernetzung und Datenansammlung. Wichtig ist es, die Zusammenhänge offenzulegen und die Studierenden zu kritischem und reflektiertem Denken anzuregen.

Die juristische Ausbildung deckt grundsätzlich die Anforderungen an eine spätere Tätigkeit bei Gericht ab und soll dennoch gewährleisten, dass jede Absolventin und jeder Absolvent nach Erwerb beider Staatsexamina alle juristischen Berufe selbstverantwortlich auswählen kann. In der Praxis spielen sich die Fragen rund um Legal Tech vorwiegend im anwaltlichen Berufsfeld ab. Angesichts des großen Interesses von Studierenden, den Beruf als Anwalt oder Anwältin wahrzunehmen, sollten elementar wichtige Grundbausteine dieser Tätigkeit aus zeitgemäßer Sicht im Curriculum eingebaut werden. Dies schließt Fallmanagement, Prozessrisikoanalyse, Prozessstrategien, Projektbezug, Umgang mit Kanzlei-Software etc. ein. Die Tätigkeit als Anwalt oder Anwältin muss stärker in den Fokus der juristischen Ausbildung gerückt werden, damit diese der gegenwärtigen Sach- und Interessenlage der Studierenden entspricht. Von elementarer Bedeutung für die spätere Karriere in diesem Feld sind nicht nur juristische Fähigkeiten, sondern nach wie vor auch Soft Skills wie Verhandlungsführung, Prozessstrategie, Argumentationsfähigkeit, Teamarbeit, technische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Das Erlernen von Soft Skills wird derzeit in Form von Schlüsselqualifikationsveranstaltungen angeboten. An dieser Stelle ist die Ausgestaltung ausbaufähig. Es würde sicherlich Sinn ergeben, das Angebotsportfolio um weitere Zusatzelemente wie Fallmanagement mittels Software, Business Development, Legal Tech-Einführungskurse (Coding for Lawyers), technische Lösungen für Verbraucherrechte (Massenverfahren) anzureichern.

Das Thema Legal Tech sollte eine ähnliche Priorität haben wie die Vermittlung von Soft Skills. Legal Tech als aktuelle Entwicklung sollte im Bewusstsein der Studierenden angekommen sein und als Allgemeinwissen vorausgesetzt werden.

Die Universitäten könnten in Kooperationen mit Expertinnen und Experten aus der Praxis Online-Lehrformate zur Verfügung stellen, sodass Studierende diese in Eigenregie im Selbststudium erarbeiten.

Legal Technology sollte als Pflichtbestandteil der Anforderungen für die Zulassung zu den juristischen Prüfungen angesehen und entsprechend durch weitere Schlüsselqualifikationsveranstaltungen oder neue Projektformate im Studienalltag eingebunden werden.

Uns ist bewusst, dass Examenskandidaten und Examenskandidatinnen aufgrund der zu bewältigenden Lernmaterie kaum zeitliche Ressourcen für derartige Programme vorsehen können. Daher sehen wir uns besonders vor der Herausforderung, frühzeitig Studierende ab dem 3. Semester in das Ausbildungsprogramm der Cyber Law Clinic einzubinden, um auf derartige Entwicklungen hinzuweisen und Fähigkeiten durch praktische Einflüsse (Wettbewerbe wie Hackathons, Besuche von Fachkonferenzen, Workshops) zu stärken.

These 2: Legal Innovation als neues Mindset für Juristinnen und Juristen der Zukunft

Obgleich in der Praxis häufig die Frage nach der besten technologischen Lösung für bestimmte Probleme diskutiert wird, ist hervorzuheben, dass unter dem Begriff Legal Tech nicht nur Technologien im Vordergrund stehen. Technologien sind stets Hilfsmittel, um bestimmte standardisierbare Arbeitsweisen und skalierbare Fragestellungen effektiv, kosten- und zeitsparend zu lösen. Innovationen im Recht entstehen vielmehr durch neue Impulse, Trends und Bedürfnisse am Rechtsmarkt, die sich vorwiegend aus dem Wunsch nach Verbesserung der Rechtsdienstleistung, des Zugangs zum Recht und der Transparenz im Recht heraus entwickelt haben.

Um derartige Innovationen zu begreifen und voranzutreiben, bedarf es eines neuen Mindsets, wie es zuvor im universitären Kontext nicht gelehrt wurde:

Wichtig erscheint uns, neue Formen der Denkweise zu kultivieren (Mindset) und Studierenden Methoden an die Hand zu geben, um für die Zukunft juristische Probleme besser meistern zu können. Hierbei können Ansätze aus dem Bereich des agilen Projektmanagements wie bspw. Design Thinking und interaktiver Projektbezug mit realen Use Cases aus der Praxis hilfreich sein („learning by doing“ und Hands-on Erfahrung).

Dies kann jedoch nicht allein Aufgabe von freiwilligen Lehrprogrammen sein, die lediglich aus studentischem Engagement heraus betrieben werden. Vielmehr erscheint es sinnvoll, Studierende aufgrund des vorgesehenen Pflichtplans mit praktischen Veranstaltungselementen (Projektbezug) von Beginn an einzubinden. Ohnehin können mit kleinen Lehrprogrammen nicht alle Studierenden gleichermaßen adressiert werden.

These 3: Legal Tech als vertiefender Bestandteil der Forschung und Lehre

Legal Tech kann als Forschungsgebiet in Kombination mit diversen Rechtsbereichen als neue Forschungsdisziplin anerkannt werden. Insofern wäre es zu begrüßen, wenn neue Lehrstühle mit Schwerpunkt Legal Tech und Regulierung entstehen und besetzt würden, um entsprechend der Relevanz der Thematik die ihr gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.

In diesem Kontext könnte idealerweise ein eigener Schwerpunkt entstehen, der die konkreten Fragestellungen aus unterschiedlichen Rechtsbereichen (Verfassungsrecht, Berufsrecht, Verbraucherrecht, Versicherungsrecht etc.) aufwirft und interdisziplinär an der Schnittstelle zu Technik und Recht neue Fertigkeiten des Berufsstandes vermittelt.

Als Schwerpunktlösung wäre eine intensive Einbindung von Legal Tech in der juristischen Ausbildung für Studierende zumutbar. Das von uns initiierte Legal Tech-Programm, das wir bereits ausprobiert haben, hat sich für die Studierenden als Seminarschein-Lösung, Präsenzveranstaltung mit der Komponente der Freischuss-Anrechnung und als Schlüsselqualifikationsvoraussetzung gut in den Schwerpunktbereich VII: Information und Kommunikation eingefügt und wurde überwiegend positiv und als wegweisend empfunden.

Erwägenswert wäre es aus unserer Sicht daher, neben dem medienrechtlichen Schwerpunkt einen Legal Tech-Schwerpunkt anzubieten oder den medienrechtlichen Schwerpunkt um zentrale Elemente rund um das Thema Legal Tech zu bereichern.

Aktivitäten der Cyber Law Clinic im Bereich Legal Tech

Als ehrenamtliches Rechtsberatungsprojekt leistet die Cyber Law Clinic nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung des Zugangs zum Recht durch pro-bono Rechtsberatung von Studierenden, sondern bietet für Studierende der Rechtswissenschaft vielfältige Möglichkeiten an, die anwaltliche Arbeitsweise durch Bezüge zur Praxis näher kennenzulernen.

Die Cyber Law Clinic fördert und unterstützt als universitäres Lehrprojekt zudem die praxisorientierte und zukunftsgerichtete Ausbildung von Jurastudierenden.

Seit Beginn des Jahres 2018 beschäftigen wir uns in der Cyber Law Clinic intensiv mit Konzepten zur Ausgestaltung einer zukunftsfähigen Weiterbildung im Rahmen der juristischen Ausbildung, um auf die Chancen und Gefahren neuer Technologien und weiteren Entwicklungen auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt hinzuweisen und Studierende frühzeitig auf die relevanten Trends aus der Praxis aufmerksam zu machen.

Aus studentischer Initiative haben wir (Dalia Moniat und Lukas Kellermeier, gemeinsam mit weiteren Studierenden) im Sommersemester 2018 die Legal Tech Vision Days 2018 als interdisziplinäre und interaktive Veranstaltungsreihe ausgerufen, um Fragen rund um die Digitalisierung innerhalb des Rechtsdienstleistungsmarktes thematisch aufzuarbeiten.

Im Rahmen der Legal Tech Vision Days wurde unter anderem das erstmals von der Cyber Law Clinic initiierte Legal Tech-Seminar für den Schwerpunktbereich VII: Information und Kommunikation angeboten, das zusammen mit den weiteren Veranstaltungen der Reihe viele Synergieeffekte für die Seminarteilnehmenden mit sich brachte.

Im Zuge der studentischen Legal Tech-Initiative möchten wir im Rahmen unseres Engagements in der Cyber Law Clinic Akzente in der juristischen Ausbildung setzen und die Hintergründe der technischen Entwicklungen auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt aufdecken. Ziel der Initiative ist es in erster Linie, einen Beitrag zur Verbesserung juristischer Dienstleistungen und zur Modernisierung der juristischen Ausbildung zu leisten, indem sich Studierende proaktiv mit ihrer beruflichen Zukunft auseinandersetzen und gestalterisch tätig werden. Studierende werden durch die Teilnahme an der Cyber Law Clinic darauf sensibilisiert, sich mit aktuellen Themen abseits des universitären Pflichtstoffes zu befassen. Auf diese Weise können sich Studierende interdisziplinär und zukunftsorientiert fortbilden.

Mit Hilfe dieser studentischen Initiative sollen Studienanfängerinnen und Studienanfänger sowie angehende Juristinnen und Juristen auf die Herausforderungen und Möglichkeiten einer digitalen Welt vorbereitet werden. Dies erfolgt im Wesentlichen sowohl durch den Besuch von Fachtagungen, Vorträgen und sonstigen Meetups der Legal Tech-Szene als auch durch die Vorbereitung und Organisation von Veranstaltungen unter Verantwortung der Cyber Law Clinic zu diesem Themenfeld. Im Vordergrund steht die Erarbeitung der Legal Tech-Thematik vor dem Hintergrund der Aktualität, Relevanz und der vielfältigen Ausgestaltung.

*Dalia Moniat (Begründerin der Legal Tech-Initiative „Legal Tech Vision Days 2018“ und Initiatorin des ersten Legal Tech-Seminars an der juristischen Fakultät der Universität Hamburg), im Auftrag der Cyber Law Clinic