Meinungsbots: Legitimes Mittel im Wettstreit der Ideen?
Mats Andresen, Universität Hamburg
Das Jahr 2016 könnte als Zäsur des politischen Diskurses eingehen. Schlagworte veränderter Verhältnisse der Meinungsbildung sind beispielsweise: „filter bubbles“, „fake news“ oder „hate speech“. Auch im Rahmen Big Data-gestützter Wahlwerbung entstand ein neuer Diskurs über die Rahmenbedingungen insbesondere der digitalisierten Meinungsbildung im 21. Jahrhundert.
Teil dieser neuen Entwicklungen ist auch das Phänomen der sogenannten „social bots“ oder Meinungsbots. So werden Programme bezeichnet, welche automatisiert in sozialen Netzwerken Aussagen verbreiten, auf andere Nutzer antworten und dabei mit scheinbar echten Nutzerprofilen wie gewöhnliche Teilnehmer des Netzwerks aussehen. In der Praxis werden für die Nutzung eines Bots massenweise Profile in sozialen Netzwerken erstellt, welche im Internet unproblematisch erhältlich sind. Diese Profile werden, durch das dem Bot zugrundeliegende Programm, zum Leben erweckt und treten automatisiert, ohne die Steuerung durch einen Menschen, in Aktion. Der Bot reagiert sodann nach den im Programm festgelegten Kriterien etwa auf bestimmte Aussagen oder Hashtags (etwa #Iamwithher).
In Anbetracht immer neuer Möglichkeiten autonomer Systeme bis hin zu selbstlernenden Algorithmen und neuronalen Netzwerken stellt sich die Frage der rechtlichen Regulierung solcher Praktiken.
Meinungsbots und die Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz
Recht schnell nach Bekanntwerden der Verwendung von Meinungsbots im US-Wahlkampf 2016 stellte sich die Frage nach einem rechtlichen Umgang mit diesem Phänomen; auch in der Bundesrepublik. Bisher wurde dabei mit Blick auf eine mögliche gesetzliche Regulierung die Frage nach einem grundrechtlichen Schutz von Meinungsbots aufgeworfen.[1]
In Betracht kommt hierbei ein Schutz durch Art. 5 Abs.1 S. 1 GG (Meinungsfreiheit). Durch die Meinungsfreiheit des GG ist das Haben, Äußern sowie die Möglichkeit zur freien Bildung von Meinungen geschützt.[2] Meinungen meint hierbei zunächst Werturteile. Diese sind Äußerungsformen, welche durch ein Element des Dafürhaltens geprägt sind, wie Positionierungen oder Kundgaben von Überzeugungen.[3] Werturteile bilden daher eine Beziehung des Äußernden zu dem Äußerungsgegenstand ab und sind deshalb niemals dem Beweis zugänglich.[4] Ebenso geschützt sind Äußerungsformen abseits der Meinungsäußerung, soweit sie der Gewährleistung eines freien individuellen und überindividuellen Meinungsbildungsprozesses dienen, etwa Tatsachenbehauptungen, Fragen oder in Grenzen Appelle und Aufrufe.[5] Das den Grundrechten des Art. 5 GG insgesamt übergeordnete Prinzip der Gewährleistung eines vielfältigen, freien Meinungsbildungsprozesses als konstitutiver Bestandteil einer freiheitlich demokratischen Grundordnung muss grundsätzlich bei jeglicher Auslegung der betroffenen Grundrechte einbezogen werden.
Insoweit ist es korrekt festzustellen, dass Äußerungsformen eines Bots grundsätzlich in den Schutzbereich eines Grundrechts fallen, soweit es sich bei diesen nicht etwa um bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen handelt. Äußerungen, welche für die Meinungsbildung nicht förderlich sind, beispielsweise ihren Zweck gänzlich darin haben, eine Person herabzuwürdigen ohne jeglichen sachlichen Bezug zu haben, werden nach verbreiteter Ansicht ebenso nicht von Art. 5 Abs.1 S.1 GG geschützt.[6] Für alle übrigen Äußerungsformen kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass ein automatisiert ablaufender Äußerungsprozess per se keinen Beitrag darstellen kann. Vielmehr zeigen die aktuellen Entwicklungen eine gegenteilige Wirkung.
Auch ist ein grundrechtlicher Schutz der durch einen Bot veröffentlichen Äußerung nicht allein schon deshalb zu verwehren, weil dieser nicht unmittelbar, sondern lediglich mittelbar, durch einen Grundrechtsträger erfolgt.[7] Grundsätzlich ist die durch ein Programm automatisiert verbreitete Äußerung dem Botnutzer zuzurechnen, welcher die Verbreitung durch Festlegung der relevanten Parameter bestimmt und den Inhalt der Äußerung formuliert.[8]
Problematisch sind im Hinblick auf die Verwendung von Meinungsbots allerdings zwei Punkte:
Rechtlich relevante Modalitätstäuschung oder zulässige Pseudonymisierung?
Für einen Außenstehenden scheint zunächst die durch ein Programm veröffentliche Äußerung eine durch einen privaten Einzelakteur verbreitete Ansicht zu sein. Die hinter der Äußerung stehende Person wird nicht nur unkenntlich gemacht. Die Identität wird von einem tatsächlich nichtexistierenden Anderen in Form eines Userprofils mit Namen, Bild und persönlichen Daten überlagert.
Brings-Wiesen wirft die Frage auf, ob Meinungsbots in Form einer Schutzbereichsausnahme dem Grundrechtsschutz der Meinungsfreiheit zu entziehen sind, weil diese über relevante Meinungsäußerungsmodalitäten, d.h. relevante Begleitumstände, hinwegtäuschen.[9]
Der übergreifende Schutzzweck der Grundrechte des Art. 5 GG, die individuelle und überindividuelle Meinungsbildung und Positionierung im demokratischen Prozess zu sichern, hat in diesem Zusammenhang weitreichende Bedeutung.
Obwohl diese Schutzrichtung den sachlichen Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG zumeist erweitert hat, findet dieser in ihr auch seine Grenzen, etwa bei Äußerungen, welche dem Meinungsbildungsprozess entgegenstehen und diesen in seiner Wirksamkeit bedrohen. Dass die begleitenden Umstände für die Bewertung einer Äußerung – auch gerade bei der Erwägung von Schutzbereichsausnahmen – von erheblichem Gewicht sind, stellt auch die Rechtsprechung fest, indem sie die Auslegung einer Äußerung im Spannungsfeld von Meinungsäußerungen und Beleidigungen immer im Kontext betrachtet.[10] Soweit die Täuschung über Meinungsäußerungsmodalitäten qualitativ den Meinungsbildungsprozess vergleichbar schädigt, wie etwa eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung, ist eine Ausnahme von diesem Schutzbereich geboten.
Meinungsbots, wie etwa in der im US-Wahlkampf benutzten Form, treten im Internet als scheinbare Einzelakteure in Form von Privatpersonen auf. Dies suggeriert dem Meinungsmarkt die Äußerung eines einfachen Teilnehmers an der öffentlichen Diskussion, dessen persönliche Erfahrungen, Wertungen und Auseinandersetzungen mit anderen Akteuren in diese eingeflossen sind und daraufhin zu einer öffentlichen Kundgabe mit einer daraus resultierenden persönlichen Positionierung geführt haben.
Sowohl der Schein einer persönlichen Auseinandersetzung in Verbindung mit anderen als auch der persönlichen Positionierung in der Öffentlichkeit haben einen Einfluss auf die Wertung des Gewichts der inhaltlichen Aussage. An der gezielten Verwendung von Prominenten oder charakteristischen Personen im Bereich der Werbung ist zu erkennen, dass die Person des Äußernden in erheblichem Maße die Einordnung einer Botschaft beeinflusst.
In Abgrenzung zu anonymisierten Kampagnen ist dem Teilnehmer der Diskussion bei
Meinungsbots nicht nur der Äußerungskontext in wesentlichem Maße unklar, er wird aktiv über diesen erheblichen Teil der Gesamtaussage getäuscht.[11]
Neben dem konkret meinungsmarktschädlichen Element der Identitätstäuschung in jedem Einzelfall kommt auch ein abstrakt meinungsmarktschädliches Element und zwar bezüglich der Institution des Meinungsmarktes hinzu.
Der konsumierende, kritisierende und kommunizierende Einzelakteur als Kernstück des demokratischen Meinungsmarktes wird in seiner Authentizität geschädigt. Die Kernrolle des Einzelnen spiegelt sich u.a. darin wieder, dass die Willensbildung des Volkes durch Stimmabgabe Einzelner in Wahlen erfolgt. Das Argument, der Meinungsmarkt müsse sich den neuen Gegebenheiten einer digitalisierten Umgebung soweit beugen und ein dementsprechendes Risiko dulden, wenn er sich derartiger Mittel bediene, ist eher unzeitgemäß und wird dem hohen Wert der Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaftsordnung nicht gerecht.
Die Ansicht von Zumkeller-Quast, die Täuschung über die Identität des Verbreitenden sei als Pseudonymisierung zulässig, verkennt, dass der Wortlaut des Art. 5 Abs.1 S. 1 GG keine Zulässigkeit der Pseudonymisierung ausdrücklich vorsieht, diese vielmehr einer teleologischen Auslegung nach zu Gunsten des freien, pluralistischen Meinungsmarktes besteht.[12] Der Einzelne soll gewisse Werturteile und Tatsachenbehauptungen auch dann verbreiten können, wenn ihm unter Verwendung eines echten Namens etwa berufliche oder private Konsequenzen drohen würden.[13] Im Umkehrschluss kann diese Ausdehnung des sachlichen Schutzbereiches nur soweit gelten, als dass dieser Schutzzweck nicht gefährdet wird. Genau dies ist hier jedoch der Fall.
Im Übrigen handelt es sich bei den in Frage stehenden Täuschungen um weit mehr als einfache Pseudonymisierungen. Diese erstreckten sich in aller Regel allein auf den Namen des Äußernden oder auf weitere identitätsstiftende Eigenschaften in Form einer als solchen klar erkennbaren, überzeichneten Kunstfigur. Die Erstellung eines vollständig erfundenen Profils mit der oben bezeichneten Zweckrichtung geht hierüber weit hinaus.
Ein Fall der zulässigen Pseudonymisierung wird bei Meinungsbots daher in der Regel nicht vorliegen.
Der Einwand, mit allgemeinen technischen Kenntnissen und kritischer Herangehensweise seien automatisierte Äußerungen leicht erkennbar, hat selber bisher nicht vermocht über den Status einer gänzlich unbegründeten Behauptung hinauszutreten. Er verkennt außerdem die sich ständig wandelnden technischen Möglichkeiten und die allgemeine Technikaffinität eines der demographisch ältesten Länder der Welt.[14]
In Anbetracht dieser Erwägungen scheint die Annahme einer Schutzbereichsausnahme nicht fernliegend.[15] Klarheit in dieser Frage, in Bezug auf das konkrete Phänomen der Meinungsbots, ergibt sich in Kombination mit der Betrachtung des zweiten Problembereichs.
Meinungsmacht
Das zweite Problem liegt in der Verbreitungsmöglichkeit der Äußerung durch einen Einzelnen, welches diesem in Verbindung mit dem oben genannten Problem der Identitätstäuschung ein erhöhtes, den freien Meinungsmarkt gefährdendes Maß an Meinungsmacht verleiht.
Dabei ist allein das massenhafte Verbreiten von Äußerungen als Grundlage jeder Kampagne nicht zu beanstanden.[16] Die Verwendung eines Bots ist insoweit auch durch die Technologieneutralität der Meinungsfreiheit gedeckt.[17] Jedoch trifft dieses Vorgehen dort an seine Grenzen, wo es sich mit der Identitätstäuschung vereint und diese auf ein erweitertes Niveau hebt. Hier wird deutlich, dass der Botnutzer nicht allein im Einzelnen für jede Einzeläußerung eine falsche Identität vorspiegelt, er täuscht auch über die abstrakte Tatsache hinweg, dass eine Einzelperson Urheber hunderter, scheinbarer Einzelbeiträge ist. Wie Brings-Wiesen richtig feststellt, täuscht der Verwender der Technik damit einen tatsächlich nicht existenten Rückhalt in der Bevölkerung vor.[18] Dabei handelt es sich bei dem Rückhalt nicht um eine Äußerungsmodalität, sondern um eine direkte Manipulation des Meinungsmarktes selbst. Dies muss so gesehen werden, wenn man die Tatsachen betrachtet, dass Petitionen oder Demonstrationen als Mittel im Meinungskampf fast ausschließlich darauf ausgerichtet sind, gesellschaftlichen Rückhalt zu bezeugen. Dem besonderen Wert des Versammlungsrechts in der Bundesrepublik würde eine entgegenstehende Wertung nicht gerecht werden.
Letztlich wird das dem Schutzzweck des Grundrechts entgegenstehende Nutzungspotential besonders da deutlich, wo mehrere Bots gemeinsam agieren. Hierbei ist es denkbar, dass Bot 1 auf eine beliebige Äußerung reagiert und Bot 2 daraufhin in gezielter Weise die Äußerung von Bot 1 aufgreift und unterstützt. Dieses Schema ließe sich endlos fortführen, um eine Diskussion zu simulieren und ist in dieser Form technisch ohne Probleme möglich. Dem einzelnen Nutzer wäre es mithin möglich einen ganzen „Sekundärmeinungsmarkt“ zu eröffnen, der für Außenstehende nicht ersichtlich ist und auf Grund seiner automatisierten Verbreitung geeignet ist, den übrigen Meinungsmarkt zu verzerren. Der Einzelmeinung übriger Personen würde als Konsequenz faktisch ein geringeres Gewicht schon deshalb zukommen, weil diese einer vermeintlich schon gefestigten Gegenmeinung gegenübersteht.
Das aus dem Rundfunkrecht bekannte Modell der Meinungsmachtkontrolle ist hier auf Grund der gemeinsamen Schutzrichtung des Art. 5 GG entsprechend zu berücksichtigen. Dem Botnutzer kommt eine erheblich gesteigerte Meinungsmacht zu, indem ihm ein Mittel höchst aktueller, suggesitvkräftiger und breitenwirksamer Beeinflussung gegeben ist.[19] Nimmt das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf Rundfunkanbieter an, der Meinungsmarkt dürfe nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden, so muss dies auch bei gezielter Einflussnahme im Internet gelten. Dem muss in besonderen Konstellationen nachgekommen werden können, indem den Meinungsmarkt direkt beeinträchtigende Mittel dem Schutz der Meinungsfreiheit entzogen werden, um die neu entstehende Meinungsmacht Einzelner zu regulieren.
Zusammenfassung
Die Nutzung von Meinungsbots läuft somit dem Schutzzweck des Art. 5 I 1 GG entgegen. Meinungsbots täuschen nicht allein über wesentliche Teilaspekte oder Äußerungsmodalitäten hinweg; sie sind geeignet, den gesamten Meinungsmarkt zu verzerren und Einzelnen unkontrollierte und regulierungsfreie Meinungsmacht zu verleihen.
Die Nutzung von Meinungsbots ist daher nicht durch die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 I 1 GG geschützt.
[1] Vgl. Milker, https://www.juwiss.de/91-2016/, Stand: 16.01.2017.
[2] Vgl. BVerfGE 27, 71 (81).
[4] Vgl. BVerfGE 33, 1 (14).
[6] Schulze-Fielitz in Dreier, GG, Band I, 3. Aufl. 2013, Art. 5 I, II Rn. 70 zu Schmähkritik ; Vgl. Argumentation BVerfGE 54, 208 (219); vgl. BVerfGE 12, 113 (130).
[7] Vgl. Milker, https://www.juwiss.de/91-2016/, Stand: 16.01.2017.
[8] Brings-Wiesen, https://www.juwiss.de/93-2016/, Stand: 16.01.2017; Vgl. Milker, https://www.juwiss.de/91-2016/, Stand: 16.01.2017.
[9] Vgl. Brings-Wiesen, https://www.juwiss.de/93-2016/, Stand: 16.01.2017.
[10] BVerfG, Urteil v. 29.06.2016 – 1 BvR 2646/15.
[11] Vgl. Brings-Wiesen, https://www.juwiss.de/93-2016/, Stand: 16.01.2017, und Milker, https://www.juwiss.de/91-2016/, Stand: 16.01.2017, die sich in dieser Frage auch einig sind.
[12] Vgl. BGHZ 181, 328 – spickmich.de; vgl. zur Pseudonymisierung Zumkeller-Quast, https://www.juwiss.de/2-2017/, Stand: 16.01.2017.
[13] BGHZ 181, 328 – spickmich.de; vgl. Ballhausen/Roggenkamp K&R 2008, 403, 406.
[14] So aber Milker, https://www.juwiss.de/91-2016/, Stand: 16.01.2017.
[15] Brings-Wiesen, https://www.juwiss.de/93-2016/, Stand: 16.01.2017.
[16] Brings-Wiesen, https://www.juwiss.de/93-2016/, Stand: 16.01.2017.
[17] Vgl. Zumkeller-Quast, https://www.juwiss.de/2-2017/, Stand: 16.01.2017.
[18] Brings-Wiesen, https://www.juwiss.de/93-2016/, Stand: 16.01.2017.
[19] Vgl. BVerfGE 119, 181, 215.